Der frühere deutsche Nationaltorwart Timo Hildebrand hat sich erneut zum Thema psychische Gesundheit im Spitzensport geäußert. In einem aktuellen Interview betonte er, dass sich der Umgang mit mentalen Erkrankungen zwar verbessert habe – der Druck auf Leistungssportler jedoch weiterhin hoch sei.
Hildebrand, der selbst über seine Depressionserfahrungen sprach, ruft zu einem offeneren und ehrlicheren Umgang mit psychischer Belastung auf. Der 45-Jährige war zuletzt in verschiedenen Projekten zur Mental Health Awareness im Sport engagiert.
Mehr Offenheit, aber noch viel Arbeit
Im Gespräch mit dem Radiosender SWR1 Baden-Württemberg erklärte Hildebrand:
„Es wird heute mehr über mentale Gesundheit gesprochen. Das ist gut. Aber die Erwartung, immer stark und belastbar zu sein, ist nach wie vor präsent.“
Er sieht Fortschritte – etwa durch Initiativen von Vereinen, Sportverbänden und Medien. Dennoch mangele es oft an echter Hilfe und Verständnis. Viele Athleten hätten Angst, sich zu öffnen, weil sie als „schwach“ gelten könnten.
Psychische Gesundheit im Profisport: Ein Tabu wird gebrochen
Die Offenheit ehemaliger und aktueller Sportstars, wie Hildebrand, hat das Thema psychische Gesundheit in den letzten Jahren sichtbarer gemacht. Auch andere bekannte Namen wie André Schürrle, Naomi Osaka oder Simone Biles haben öffentlich über ihre Kämpfe mit Depression, Burnout oder Angststörungen gesprochen.
Laut einer Studie des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) aus dem Jahr 2023 gaben fast 40 Prozent der befragten Athletinnen und Athleten an, regelmäßig unter psychischem Druck zu leiden.
Leistungsdruck, Öffentlichkeit, Karriereende: Viele Belastungsfaktoren
Der Übergang vom aktiven Profi in das „normale“ Leben sei eine große Herausforderung, sagt Hildebrand. Besonders schwer sei dieser Schritt, wenn sich der gesamte Lebensinhalt jahrelang um Leistung, Wettkampf und Erfolg drehe.
„Plötzlich ist der Applaus weg. Die Aufmerksamkeit schwindet. Und viele wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen“, so Hildebrand.
Auch soziale Medien und der öffentliche Druck seien zusätzliche Faktoren, die auf junge Sportler einwirkten.
Vereine und Verbände in der Pflicht
Immer mehr Clubs erkennen inzwischen die Bedeutung mentaler Gesundheit – auch, um langfristig die Leistungsfähigkeit ihrer Spieler zu erhalten. Vereine wie der 1. FC Köln, RB Leipzig oder der FC Bayern München haben eigene Sportpsychologen im Team.
Die Deutsche Fußball Liga (DFL) fördert Programme zur mentalen Stärkung und zum Umgang mit Drucksituationen. Dennoch bleibt viel zu tun, wie auch Hildebrand anmerkt.
„Es braucht nicht nur Angebote, sondern auch eine Kultur des Vertrauens. Die Spieler müssen wissen, dass sie Hilfe bekommen – ohne Nachteile für ihre Karriere befürchten zu müssen.“
Hildebrand selbst: Vom Nationalspieler zum Mental-Health-Botschafter
Timo Hildebrand stand in seiner aktiven Zeit bei Vereinen wie dem VfB Stuttgart, Valencia CF und Schalke 04 im Tor. Er wurde 2007 Deutscher Meister und absolvierte sieben Länderspiele für die Nationalmannschaft. Nach dem Karriereende setzte er sich vermehrt mit seiner eigenen Geschichte auseinander.
Heute spricht er offen über seine depressive Phase nach dem Rückzug aus dem Profisport – und ermutigt andere, über mentale Probleme zu reden. Er ist Mitbegründer mehrerer Projekte zur Prävention von psychischer Überlastung bei jungen Athleten.
Mehr Bewusstsein, aber keine Entwarnung
Der Fall Hildebrand zeigt, dass psychische Gesundheit auch im Spitzensport kein Randthema mehr ist. Es gibt Fortschritte – doch echte Veränderung braucht Zeit, Engagement und Offenheit auf allen Ebenen.